Wer Flüchtlingsrouten schließt und nicht gleichzeitig Chancen eröffnet, handelt verantwortungslos. Österreich muss die anstehende EU-Ratspräsidentschaft dazu nutzen, Ländern des Südens Perspektiven und Hoffnung zu geben, betont Michael Landau.
Die vergangenen Jahre haben deutlich gemacht: Unsere Welt ist zu einem Dorf geworden. Über Facebook erreichen uns Hilfsappelle aus aller Welt. In Echtzeit und unmittelbar. Zum Beispiel Zaatari in Jordanien: Ein Camp mit 80.000 geflüchteten Männern, Frauen und erschreckend vielen Kindern. Die viertgrößte „Stadt“ Jordaniens. Das fünftgrößte Flüchtlingscamp der Welt. Wer mit den syrischen Flüchtlingen vor Ort spricht, bekommt eine Vorstellung davon, was es heißt, eingezwängt zwischen Hoffnung und Perspektivenlosigkeit auf das Ende eines Krieges zu warten, den man selbst nicht begonnen hat. Eine UN-Mitarbeiterin warnte jüngst bei einem Besuch meiner Mitarbeiter vor einer nachlassenden Solidarität der Staatengemeinschaft. Sie stellte nüchtern fest: Wenn die Menschen die Hilfe vor Ort nicht mehr erreicht, machen sie sich von vor Ort auf den Weg, um auch in Europa um Hilfe zu bitten. So wie sie es schon einmal taten. Im Herbst 2015.
Österreichs Chance. Die Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre – nicht nur aus Syrien, sondern auch aus Ländern wie Somalia, dem Südsudan, aus Eritrea oder aus dem Irak –, haben deutlich gemacht, dass in einer zusammenwachsenden Welt eine Globalisierung des Verantwortungsbewusstseins dringend nötig wird.
Und Österreich könnte diese Globalisierung vorantreiben. In wenigen Monaten wird sich zeigen, wie ernst es unserer Bundesregierung nicht nur mit ihrem pro-europäischem Kurs, sondern auch mit dem von ihr propagierten Schlagwort von mehr „Hilfe vor Ort“ tatsächlich ist. Dann nämlich wird Österreich den EU-Ratsvorsitz übernehmen. Und mein Appell an die politisch Verantwortlichen lautet schon heute, dieses zweite Halbjahr dazu zu nutzen, um so etwas wie einen Marshallplan für und vor allem mit afrikanischen Ländern voranzutreiben. Mehr noch: Diese Bundesregierung sollte bereits das erste Halbjahr dazu nutzen, ihrem Mantra von mehr Hilfe vor Ort endlich Leben einzuhauchen.
Routen zu schließen allein ist keine Lösung. Es muss zu allererst auch darum gehen, Chancen zu eröffnen. Mit einer Aufstockung der Hilfe vor Ort, mit der Möglichkeit, unseren Kontinent auf legale und sichere Weise zu erreichen und mit dem Bekenntnis, dass sich in einer globalisierten Welt Verantwortung nicht abschieben lässt.
Michael Landau ist seit 1995 Caritasdirektor der Erzdiözese Wien und seit 2013 auch Präsident der Caritas Österreich.
Eine Frage des Willens. Zuletzt betrugen die Mittel zur Entwicklungszusammenarbeit in Österreich lediglich knapp 0,4 Prozent der Wirtschaftsleistung. Österreich hat den Auslandskatastrophenfonds zwar vor wenigen Jahren von 5 auf 20 Mio. Euro aufgestockt und angekündigt, sein bilaterales Entwicklungshilfebudget bis 2021 stufenweise erhöhen zu wollen, doch gleichzeitig ist klar: In einer Zeit, in der weltweit über 60 Mio. Menschen auf der Flucht sind und noch immer über 800 Mio. Menschen an Hunger leiden, muss Österreich und muss Europa deutlich mehr tun. Länder wie Großbritannien oder Schweden zeigen vor, dass die vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts im Bereich der Entwicklungshilfebudgets durchaus erreichbar sind. Es ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens.
Ich bin überzeugt: Länder wie Jordanien, Somalia oder der Südsudan mögen tausende Kilometer entfernt liegen, doch die dort vorherrschende Not betrifft auch uns. Wie wir in einer globalisierten Welt leben, hat auch Auswirkungen auf das Leben anderer. Die Zölle, die wir erheben, die Kleidung, die wir tragen, die Nahrung, die wir zu uns nehmen, oder die seltenen Erze, die in unsere Smartphones gepackt werden – all diese Dinge erzählen auch Geschichten von Menschen, die diese Kleidung im Akkord nähen, die diese Lebensmittel an- und die die seltenen Metalle unter widrigen Umständen abbauen. Die Schauplätze dieser Geschichten sind mit der Globalisierung auch Teil unserer eigenen Erzählung geworden.
Den selbst ernannten Rettern des christlichen Abendlandes sei also gesagt: Unsere Werte verteidigen wir nicht, indem wir Flüchtlingen hier bei uns mit Kürzungen im Sozialbereich drohen, sondern indem wir ihnen vor Ort zu Hilfe kommen. Indem wir ihnen dabei helfen, ein Leben in Würde zu führen. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
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